Die schönsten Geschichten schreibt das Leben, BLAU IST EINE WARME FARBE ist in beiden Medien – der zugrundeliegenden Graphic Novel und dem Film – der imposante Beweis dafür. Dabei gibt es deutliche Unterschiede, die nur beim Namen der Protagonistin beginnen. Clementine im Comic, Adele im Film. Die Figur ist jedoch dieselbe, ein junges Mädchen, das erkennt, dass es nicht auf Jungs steht, sondern auf Frauen. Ein Erweckungserlebnis ist die Begegnung mit Emma, einer Frau mit blauen Haaren, die Clementine erst später kennen lernt.
Beide werden dann zuerst Freunde, dann auch Liebende – und schließlich Trennungsopfer, denn wie jede große Liebe geht auch diese durch Hoch- und Tiefphasen. Doch die Talsohle ist nicht erreicht, das kommt erst noch. Der Comic von Julie Maroh zeigt das schon auf den ersten Seiten. Da hat Emma einen schweren Gang zu gehen. Sie betritt das Elternhaus ihrer Geliebten, geht in deren altes Kinderzimmer und fängt an, ihre Tagebücher zu lesen – so wie es Clementines letzter Wunsch war.
Nicht nur inhaltlich, auch stilistisch ist dieser Comic prächtig. Die gegenwärtigen Sequenzen sind in Farbe gehalten, die vergangenen grau abgestuft – nur das Blau der Haare ist immer wieder ein farbliches Signal. Der Kinofilm von Abdellatif Kechiche setzt andere Akzente. Er nutzt eine andere Struktur. Er konzentriert sich stärker als der Comic auf die Trennung der beiden. Wie in der Vorlage gibt es auch hier eine ausgesprochen lange Sexszene, die keineswegs pornographisch ist, aber bei der Autorin Macoh diesen Eindruck erweckte. Sie verstand nicht, warum Kechiche keine Recherche betrieb, nicht mit Homosexuellen sprach und stattdessen eine kühle Liebesszene inszenierte, die ihrer Meinung nach nur der heterosexuellen Vorstellung lesbischen Geschlechtsverkehrs entspricht.
Die Autorin mag überkritisch sein, weil sie so nahe an ihrem Werk ist, dem Zuschauer offenbart sich BLAU IST EINE WARME FARBE in seiner filmischen Version als wunderschöner, das Leben zelebrierender Liebesfilm. Wie auch in der Vorlage ist es irrelevant, dass die Liebenden gleichgeschlechtlich sind, ihre Geschichte ist universell gültig. Und wie alle großen Liebesgeschichten kann sie nur auf eine Art enden: tragisch. Aber auch deswegen hat man das Gefühl nach dem Lesen, nach dem Sehen, hier einem Stück echtem Leben beigewohnt zu haben.