Im Oktober jährt sich der Geburtstag von Matt Wagners größer Schöpfung zum 40. Mal. Im Oktober 1982 debütierte Grendel in der Anthologie Comico Primer. Damals waren Marvel und DC noch immer die Platzhirsche – mehr noch, als sie es heute sind. Aber es begannen, kleine Independent-Verlage mit Comics und Geschichten für Furore zu sorgen, die bei den großen Zwei keinen Platz gehabt hätten.
Einer davon war der Verlag Comico, der 1982 gegründet wurde, 1990 bankrottging und sehr sporadisch bis 1997 noch hier und da ein paar Comics verlegte. Zur Gründungszeit herrschte jedoch auch so etwas wie Goldgräberstimmung. Und sie erlaubte es Kreativen, mit ihren eigenen Ideen auszutoben. So auch Matt Wagner, der sich zeitlebens von den großen Superhelden eher fernhielt und sein eigenes Ding machte.
Der Schöpfer
Matt Wagner wurde am 9. Oktober 1961 geboren. Seine erste veröffentliche Comic-Arbeit war zugleich auch das Debüt von Grendel – in der zweiten Ausgabe von Comico Primer. Mit Grendel erschuf er seine größte Figur, die Zeit und Raum überwindet. Bekannt ist Wagner aber auch für seine Serie Mage, die es nie zu einer deutschen Publikation geschafft hat.
Wagner konzentrierte sich im Lauf der Jahrzehnte auf seine zwei Schöpfungen. Nur gelegentlich befasste er sich mit klassischen Superhelden. Gerade mal in drei Heften von Marvel erschienen seine Arbeiten. Für DC schrieb und zeichnete er dafür ein paar Miniserien mit Batman und ließ ihn auch mehrmals auf Grendel treffen. Zudem illustrierte er für Neil Gaiman den „Season of Mists“-Storybogen in The Sandman. Außerdem war er einer der Autoren für die Vertigo-Serie Sandman Mystery Theatre um den Verbrechensbekämpfer Wesley Dodds.
Viele seiner Arbeiten haben es aber einfach nie über den großen Teich geschafft.
Der erste Grendel
Als er Grendel für seine erste lange Geschichte ersann, da schwebte ihm eine Geschichte im Stil italienischer Fumetti wie Diabolik vor. Wagner wollte einen Schurken als Hauptfigur, einen kompromisslosen Assassinen, der als bester Killer der Welt galt – und von manchen als Verkörperung des Teufels angesehen wurde.
Die erste Inkarnation von Grendel – zuerst in Comico Primer 2, dann in einer eigenen Comico-Serie, die nach nur drei Heften wegen finanzieller Schwierigkeiten des Verlags abgebrochen wurde, wird von Wagner als so etwas wie die grobe Blaupause für den eigentlichen Anfang angesehen.
Mit der Geschichte The Devil by the Deed bricht er mit klassischer Comic-Erzählweise. Die einzelnen Seiten sind Kirchenfenstern gleich gestaltet und zeigen nicht nur ein Bild, sondern eine sequenzielle Abfolge, die aber nicht der typischen Comic-Form folgt. Dazu gibt es einen umfangreichen Text, der Teil einer Biographie ist, die eine Journalistin über Hunter Rose alias Grendel geschrieben hat.
Hunter Rose ist ein Genie. Ein Wunderkind, das als Fechter jeden besiegen konnte, aber vom Mangel ernsthafter Gegner gelangweilt war. Er wurde ein gefeierter Autor, der im Akkordtempo Bestseller raushaute. Und er wurde der Kopf des organisierten Verbrechens, während er als kostümierter Grendel die waghalsigsten Auftragsmorde ausführte – immer verfolgt von Argent, einem Wolfsmenschen indianischer Herkunft.
Sein Untergang folgt erst, als er Stacy Palumbo, die Tochter eines Mobsters, den er umgebracht hat, adoptiert. Er liebt sie wie eine Tochter und sie ihn wie eine Tochter, aber als sie erfährt, dass er Grendel ist, verrät sie ihn.
In Schwarz, Weiß und Rot gestaltet, deckt dieser Comic die komplette Geschichte von Hunter Rose ab, aber Wagner war mit seiner Figur noch nicht fertig. Hunter Rose war die erste Grendel-Inkarnation, ist aber auch die, zu der Wagner am häufigsten zurückgekehrt ist. Zuerst in einer Reihe von Kurzgeschichten, die verschiedene Aspekte aufgreifen, die bei The Devil by the Deed angerissen werden, aber auch in solchen Geschichten, die die Komplexität der Figur noch herausstellen.
Die Natur der Aggression
Ein Problem, so könnte man meinen, ist der Umstand, dass Hunter Rose schon in seinem ersten echten Auftritt stirbt. Wie führt man eine Geschichte fort – und das über Jahrzehnte hinweg –, wenn die Hauptfigur bereits tot ist? Für Wagner war das gar kein Problem, denn er sah Grendel als mehr, denn nur die Geschichte eines Mannes an. Ja, er kehrte immer wieder zu Hunter Rose zurück, aber genauso trieb er die Geschichte voran, und das sogar bis in die späte Zukunft des 26. Jahrhunderts.
Wagner schrieb (und zeichnete zum Teil) eine aus 40 Heften bestehende Serie für Comico, die später in Miniserien bei Dark Horse Comics nachgedruckt wurde. Darin untersucht er, wie die Legende von Grendel weiterlebt. Es geht um die Menschen, die sich von dem Killer inspiriert fühlen, die selbst die Maske aufsetzen und ein neuer Grendel werden.
Dabei spielt Wagner immer mehr mit der Idee, dass Grendel eine Entität ist, die von Individuen unabhängig ist, die sie beseelt oder inspiriert oder gar besetzt und sie erst zu dem macht, was sie schließlich sind, wenn sie die Maske anlegen. Hunter Rose ist so nur der erste Träger dieser Grendel-Entität – zumindest in der chronologischen Sichtweise. Doch wer weiß, ob es einen Grendel nicht schon lange zuvor gab. Nicht umsonst hat Wagner den Namen der Bestie aus dem Epos Beowulf entliehen.
Für Wagner wurde Grendel damit zu etwas gänzlich anderem. Nicht mehr die Geschichte eines Verbrechers, sondern eine Studie über die Natur der Aggression, immer verkörpert durch den aktuellen Grendel – und das durch die Jahrhunderte hindurch.